Warum ich keine Kunstdrucke mehr verkaufe

"Hör auf, deine Originale zu verkaufen. Verkauf sie als Drucke und lass dich für ein und dasselbe Kunstwerk mehrfach bezahlen. Auf diese Weise kannst du mit einem Online-Shop schnell fünfstellige Umsätze erzielen und von deiner Kunst leben."

So ungefähr lautete der Text einer Anzeige, die etwas versprach, was zunächst sehr plausibel und verlockend klang: eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie man sich als Künstler ein lukratives Nebeneinkommen durch Kunstdrucke aufbauen kann, mit dem langfristigen Ziel, davon leben zu können.

Die Idee war einfach: Die eigene Kunst digitalisieren, dann bei Print-on-Demand-Anbietern hochladen, einen Online-Shop erstellen, kreative Werbeanzeigen schalten, Sonderrabatte anbieten, und mit der Zeit würde sich das auszahlen und die Kunden würden im Prinzip von alleine kommen.

Klingt ziemlich gut, oder? Ich habe es ausprobiert.

Künstler, der bis spät in die Nacht an einem Shopify-Shop für Kunstdrucke und Leinwanddrucke arbeitet - hinter den Kulissen des Aufbaus eines Online-Kunstgeschäfts.

Ich, mitten in der Nacht, bei der Arbeit an meinem Print-on-Demand-Shop.

Mein Praktikum als Print-on-Demand-Unternehmer

Ich habe viel Zeit investiert und einen Shop aufgebaut, mich in die Welt des E-Commerce eingearbeitet, ein Gewerbe angemeldet, Geschäftskonten eröffnet... Ich habe die Idee aus der Anzeige weitergedacht und mir zusätzliche Produkte ausgedacht, die ich drucken lassen wollte, alle passend zum Thema Inneneinrichtung. Voller Enthusiasmus arbeitete ich jeden Abend an dem Shop und investierte zusätzlich Zeit und Geld in eine gute Suchmaschinenoptimierung (SEO). Ich habe viel über Anzeigen, Zielgruppen und Konversionsraten gelernt. Rückblickend kann ich sagen: Es war nicht umsonst, ich habe sehr viel gelernt. Aber die Dinge entwickelten sich anders, als ich erwartet hatte.

Die Wochen vergingen. Fast täglich wurde Geld von meinem Konto für die Werbekampagnen abgehoben. Dann, nach fast drei Monaten, war es endlich soweit. Der Moment, auf den ich gewartet hatte: der erste Verkauf eines Kunstdrucks! Und dann noch einer! Ich war überglücklich - aber ich wusste noch nicht, dass es das gewesen sein würde. Denn was dann geschah, sollte meine Perspektive für immer verändern.

Das Erwachen

Ich suchte nach Unterstützung, um meinen Shop anzukurbeln und stieß auf einen Marketing-Coach, dessen Aussagen mich verunsicherten und die ich zunächst nicht akzeptieren wollte: "Das wird nicht funktionieren. Bau zuerst ein Fundament auf, eine Community, entwickle deine Kunst weiter, und wenn du Drucke anbietest, dann nur in limitierter Auflage. Erhalte den Wert deiner Originale."

Seine Worte blieben mir im Gedächtnis. Das erklärte alles. Und je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde es: Ich hatte versucht, den dritten Schritt zu tun, bevor ich den ersten überhaupt verstanden hatte.

Dieser Wendepunkt war nicht laut. Kein großer Knall. Es war eher eine leise Erkenntnis: Ich musste mich wieder auf das Wesentliche besinnen. Zu dem, was Kunst für mich wirklich bedeutet, und zu dem, was ich als Künstler wirklich will.

Der Künstler hält einen kleinen Leinwanddruck des Gemäldes "Night Sea" in der Hand, das mondbeschienene Wellen und einen Leuchtturm zeigt.

Ein kleiner Kunstdruck auf Leinwand von "Night Sea". Das Original misst 120×90 cm.

Warum ich die Dinge heute anders sehe

Was ich in dieser Zeit am meisten begriffen habe: Ohne ein solides Fundament, ohne eine Community, die einen bereits unterstützt, funktioniert dieses Modell einfach nicht. Der größte Fehler war zu glauben, dass dieser Shop mich als Künstler sichtbarer machen würde, und dass meine Sichtbarkeit durch SEO und Rankings wachsen würde.

Denn ohne eine bestehende Reichweite ist SEO so, als würde man barfuß vom Fuße eines Berges aus einen Marathon laufen. Sichtbarkeit entsteht zuerst durch Inhalte, nicht durch Produkte. Und Vertrauen wird durch Beziehungen aufgebaut, nicht durch einen Warenkorb. Und was noch wichtiger ist: Ich möchte als Künstler wahrgenommen werden, nicht als Dekorateur. Warum sollte jemand ein echtes Gemälde kaufen, wenn es perfekte Reproduktionen für einen Bruchteil des Preises gibt?

Mir wurde klar, dass ich den Wert meiner Originale durch meine eigenen Reproduktionen ungewollt untergraben hatte. In einer Zeit, in der KI Bilder in Sekundenschnelle generieren kann, verliert alles, was nicht mit echter Zeit, mit Hingabe und handwerklichem Geschick geschaffen wird, an Bedeutung. Ich möchte mit meiner Arbeit ein Gegengewicht zu dieser Wegwerfkultur schaffen.

Was übrig bleibt

Auf meiner Reise zu Kunstdrucken habe ich viel gelernt: über Marketing, über Sichtbarkeit und über den Aufbau meiner eigenen Plattform. Aber ich möchte keine Bilder schaffen, die nur als Dekoration dienen. Ich möchte Kunst schaffen, die man fühlen kann. Und diese neue Website ist in gewisser Weise das Ergebnis dieser Reise.

Der wichtigste Schritt war die Rückbesinnung auf den Kern: Was will ich wirklich ausdrücken? Und wie? Die Antwort war klar: Ich möchte echte Kunstwerke schaffen, keine digitalen Derivate. Kunstwerke, die Bestand haben. Kunstwerke, die Geschichten erzählen. Kunstwerke, die es nur einmal auf der Welt gibt.

Und wenn ich jemals wieder Kunstdrucke anbiete, werden sie streng limitiert oder verkleinert, um den Wert des Originals zu schützen.